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Mentaler Druck am Beispiel des US Open Finals 2020 – eine Analyse von Philipp Heger – TennisTraveller.net

Es ist der letzte Spieltag der Saison und dein Team ist Tabellenführer und spielt gegen den direkten Konkurrenten. Dein Match ist das letzte Einzel des Tages und wenn du gewinnst, ist euch der Aufstieg nicht mehr zu nehmen. Du spürst die Erwartungshaltung der Zuschauer und vor allem deiner Mitspieler. Das Spiel ist knapp und dein Gegner und auch du spielen gutes Tennis. Jeder sichert sich einen Satz. Der Matchtiebreak muss entscheiden. Dir schlottern die Knie und du bist sehr nervös. Du möchtest durchziehen, aber es geht nicht. Du hast Kraft und Power, aber dein Kopf sagt dir: „Jetzt halt bloß den Ball im Spiel. Bloß keinen Fehler“. Du zitterst und deine ansonsten schnellen Schläge fliegen wie in Zeitlupe über das Netz. Aber auch dein Gegner bekommt keinen Druck hinter den Ball. Was ist bloß los. Vielen Spielern kommt diese Situation bekannt vor! Der eigene Kopf spielt einem einen Streich und bremst sämtliche Schläge ab. Ein schreckliches Gefühl. Manchmal gewinnt man diese schlimmen Spiele, aber glücklich ist man dennoch nicht. Denn es fühlt sich nicht an wie ein Sieg. Ich möchte nun anhand des US Open Finals und vieler Zahlen aufzeigen wie sich mentaler Druck genau auf die Leistung auswirkt. Beginnen wir mit dem zweiten Matchball für Dominic Thiem.

Thiem hat soeben bei 6-4 seinen ersten Matchball leichtfertig vergeben. Jetzt bei 6-5 hat er immer noch einen Matchball auf den US Open Titel. Zverev schlägt nun auf. Zverev entscheidet sich für die Sicherheitsvariante und schlägt den ersten Aufschlag wie ansonsten einen zweiten. Aber sein erster Aufschlag verpasst trotzdem sein Ziel. Die Geschwindigkeit dieses ersten Aufschlages beträgt lediglich 138 km/h. Zverev steht nun unter immensem Druck. Zwar ist er selbst nur noch drei läppische Punkte vom US Open Triumph entfernt, aber wenn er diesen zweiten Aufschlag nun nicht im Aufschlagfeld unterbringt, ist nicht er, sondern Dominic Thiem der neue US Open Champion! Was passiert nun? Zverev zittert seinen zweiten Aufschlag mit gerade einmal 109 km/h ins Feld! Und das kuriose daran ist, er kommt damit durch. Denn Thiem ist genauso nervös und angespannt. Statt diesen Einwurf zu bestrafen, spielt Thiem einen langsamen Slice Return zur Mitte. Der Ballwechsel beginnt und endet kurz darauf mit einem erneuten Unforced Error von Thiem. Soweit so gut. Betrachten wir das Ganze nun von Beginn an:

Sowohl Zverev als auch Thiem spielen ein gutes Turnier, vor allem Thiem präsentiert sich in diesen Tagen in ausgezeichneter Verfassung. Lediglich einen Satz hat er im Verlauf des Turniers abgegeben. Deshalb geht Thiem auch als Favorit ins Match. Hinzu kommt, dass er schon in drei Grand Slam Finals war und dadurch erfahrener ist als Zverev, der erstmals in einem Grand Slam Finale steht. Aber Zverev beginnt überragend. Den ersten Aufschlag den Zverev in diesem Match spielt hat 217 km/h. Er schlägt im ersten Satz konstant mit über 200 km/h auf und kommt auf einen Durchschnitt der ersten Aufschläge von 202,5 km/h bei einer Quote von fast 70%. Jeder dritte Aufschlag von Zverev im ersten Satz kann von Thiem nicht returniert werden. Zverev unterläuft auch lediglich ein Doppelfehler. Ganz anders Thiem, der total nervös wirkt und mit der Situation überhaupt nicht klar zu kommen scheint. Zverev spiet seinen besten Satz des Turniers, während Thiem wohl seinen schlechtesten spielt. Im gleichen Stil geht es in Satz zwei weiter. Zverev dominiert, macht konsequent Druck, kommt im richtigen Moment zum Netz und schießt den viel zu passiven Thiem förmlich vom Feld. Bei 5-1 aber zeigt Zverev auch erstmals Nerven. Bis dahin sind ihm in fast zwei Sätzen kaum leichte Fehler unterlaufen, nun wackelt er. Verlegt bei Satzball einen leichten Volley, streut bei 5-2 zwei Doppelfehler und bei 5-4 nochmals einen Doppelfehler ein. Aber irgendwie zittert er sich zum Satzgewinn. Der erste Aufschlag bei Satzball zum 6-4 ist der mit Abstand langsamste erste Aufschlag bis dato (140 km/h). Bereits zu diesem Zeitpunkt spüren beide den gewaltigen Druck. Thiem ist nun im Match und kann nun immer mehr sein gewohntes Niveau abrufen. Zverev spielt immer noch gut und es entwickelt sich ein Match auf Augenhöhe, bei dem Thiem schließlich nach Sätzen ausgleichen kann. Es geht in den alles entscheidenden fünften Satz. Beide haben ihre Chancen, aber Zverev ist derjenige, der sich zuerst mit zwei Spielen absetzen kann. Er breakt Thiem zum 5-3 und darf nun auf den US Open Titel aufschlagen. Zverev hatte in den ersten vier Sätzen mit dem ersten Aufschlag eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 201,5 km/h. In keinem Satz war die Durchschnittsgeschwindigkeit unter 200 km/h. Bis zu diesem Zeitpunkt erzielte Zverev 36 direkte Aufschlagpunkte, darunter auch 15 Asse. 36 freie Punkte, bei denen Zverev keinen Ballwechsel spielen musste. Ab 5-3 bis zum Ende des Matches erzielte Zverev dann keinen einzigen direkten Aufschlagpunkt mehr. Immer musste er in die Rallye gegen Thiem. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der ersten Aufschläge als er zum Match aufschlug bei 5-3 betrug nur noch 185 km/h. Noch drastischer ist dies beim zweiten Aufschlag Zverev sichtbar, denn diesen schlug er im Durchschnitt bis zum Matchende nur noch mit 126 km/h und damit fast 30 km/h langsamer als zuvor. Thiem konnte das Re-Break realisieren und mit mutigem Spiel zum 5-5 ausgleichen. Danach konnte der Österreicher abermals breaken. Aber auch Thiem war angespannt und keineswegs siegessicher. Hat sich bei Zverev die Anspannung vor allem in einer weit schlechteren Aufschlagleistung niedergeschlagen, so war Thiem als er zum Match servierte fast nicht mehr in der Lage die Rückhand durchzuziehen. In jenem Spiel, als er auf den US Open Titel aufschlug, bekam Thiem acht Bälle auf die Rückhand gespielt. Alle acht beantwortete er mit einem unterschnittenen Ball. Man könnte nun natürlich sagen, dass dies aus taktischen Gesichtspunkten geschah. Aber weshalb sollte Thiem seine Strategie ändern, wenn er unmittelbar vor dem Sieg steht? Wieso sollte er seinen guten Rückhand Topspin durch einen Slice substituieren? Zumal diese „Taktik“ auch überhaupt nicht aufging, denn Thiem verlor sein Aufschlagspiel, weil er mit dem Slice viel zu passiv agierte. Nun kam natürlich, was kommen musste. Der finale Tiebreak musste das Match der beiden Freunde entscheiden. Beide konnten auch in diesem entscheidenden Tiebreak ihre Blockaden nicht lösen. Zverevs Aufschlagprobleme erreichten nun ihren Höhepunkt. Der erste Aufschlag hatte auch im Tiebreak eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 185 km/h. Der zweite lediglich 124 km/h im Durchschnitt. Hinzu kamen zwei Doppelfehler auf Seiten Zverevs. Thiem wiederum blieb bei seinem Slice hängen und fand bis zum vorletzten Punkt nicht den Mut, die Rückhand wieder durchzuziehen.

Auch interessant ist, dass Thiem lediglich 52% seiner Aufschlagpunkte ab 3-4 im fünften Satz gewann und Zverev gar nur unterirdische 42%. Der Aufschlag war in der Endphase des Matches für diese beiden Spitzenspieler eher ein Nach- denn ein Vorteil.

Ich möchte natürlich diese beiden fantastischen Spieler in keinster Weise schlecht machen, sondern vielmehr aufzeigen, dass auch solche Spitzensportler nur Menschen sind, die auch immensen Druck verspüren und unter diesem nicht immer ihre Topleistung abrufen können. Was aber können wir alle nun aus diesem Match lernen?

Meine Analyse des Ganzen ist, dass Zverev im entscheidenden Moment nicht seiner Stärke vertraute, nämlich dem ersten Aufschlag. Sondern diesen oftmals wie einen zweiten Aufschlag spielte. Tief im Inneren zweifelte er und misstraute seinem ersten Aufschlag. Zverev hat das Spiel vor allem in den ersten beiden Sätzen mit seinem Aufschlag dominiert, war mutig und aggressiv. Aber auch in den Sätzen drei und vier, und selbst noch in der Anfangsphase des fünften Satzes, war sein Aufschlag sehr solide und stabil. Natürlich war der eine oder andere Doppelfehler dabei, aber er setzte Thiem mit seinem Aufschlag gewaltig unter Druck. Natürlich meldet sich der Kopf in einem solch wichtigen Moment zu Wort, gerade bei einem so jungen Menschen wie Zverev. Als überaus wichtig sehe ich jedoch an, gerade in solchen Phasen den eigenen Stärken zu vertrauen. Gleichzeitig auch die negativen Stimmen im Kopf zu vertreiben und durch positive zu ersetzen. Gerade im Spitzenbereich gewinnen die Spieler mit einer abwartenden Haltung, die im Übrigen im US Open Finale in der entscheidenden Phase beide Spieler an den Tag legten, keinen Blumentopf mehr.

Fazit:

Wie auch den meisten Amateurspielern, spielen auch manchmal gestandenen Profis die Nerven einen Streich und sorgen dafür, dass auch jene Topspieler nicht ihre Bestleistung abrufen können. Im Falle Zverev und Thiem war es so, dass Zverev gegen Ende große Probleme mit seinem ansonsten starken Aufschlag hatte und Thiem mit seiner Rückhand nur noch passiv slicen konnte. Zu groß war der Druck auf beide Spieler und zu viele Gedanken schossen diesen beiden tollen Athleten durch den Kopf. Diese Gedanken konnten sie nicht kontrollieren. Mein Rat an den Amateurspieler lautet für vergleichbare Situationen, dass Ganze möglichst rational zu betrachten, negative Gedanken beiseite zu schieben und durch positive, bessere Gedanken zu ersetzen. Außerdem mutig zu spielen und die eigenen Stärken einzusetzen. Glaube und vertraue deinen Stärken und spiele diese auch dann aus, wenn du nervös und angespannt bist.